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25.09.2022 – Maischberger gegen Habeck– Empörung vor Sachverstand


 
Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck hat nicht Falsches gesagt. Der Shitstorm den sein Auftritt bei Sandra Maischberger losgetreten hat, zeigt, wie hirn- und gnadenlos Empörung heute bewirtschaftet wird.
 
VON WERNER VONTOBEL
 
Die Frage der Moderatorin Maischberger war: «Herr Minister, müssen wir uns im Winter auf eine Welle der Insolvenz gefasst machen?» Journalisten dürfen solche Fragen stellen, sie dürfen Schreckensszenarien an die Wand malen. Und sie haben inzwischen Übung darin, immer neue Wellen aller Art herauf zu beschwören. Das erhöht die Aufmerksamkeit und steigert die Auflage. Zudem ist es ihre Pflicht, auf drohende Gefahren aufmerksam zu machen. Die Frage war also o.k.
 
Für Politiker gelten andere Gesetze: Sie sollen eine drohende Gefahr tunlichst nicht noch dadurch verschärfen, dass sie den Leuten Angst machen. Das hat zu seiner Zeit schon Franz Josef Strauss klargestellt. Robert Habeck konnte die Frage also nicht bejahen. Er hätte damit unweigerlich Schlagzeilen wie «Wirtschaftsminister rechnet mit Pleitewelle!» provoziert. Ebenso wenig durfte er die Lage verharmlosen. Sonst hätte ihn Oppositionsführer Friedrich Merz vorgeführt. «Habeck schlägt die Sorgen und Nöte unserer Mitteständer in den Wind.» Typisch rotgrün. Also suchte Habeck einen Ausweg und fand ihn in Sekundenschnelle.
 
Zitat: «Nein, ich sehe keine Welle der Insolvenz. Aber wir sehen jetzt überall, dass Läden, die darauf angewiesen sind, dass die Leute Geld ausgeben – Blumenläden, Bioläden, Bäckereien, dass die wirklich Probleme haben, weil es eine Kaufzurückhaltung gibt, dann sind die nicht automatisch insolvent, sondern sie hören vielleicht auf zu verkaufen.» Damit spricht Habeck die Gefahr an, dass viele mittelständische Betriebe sofort die Reissleine ziehen könnten. Warum sollten sie ein defizitäres Geschäft so lange weiterführen, bis sie alle ihre Mittel aufgebraucht haben? Das macht nur Sinn, wenn sie darauf hoffen, dass sich die Lage in absehbarer Zeit verbessert. Habeck befürchtet, dass sich dieses Zeitfenster zu schnell schliessen könnte.
 
Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das Szenario «Bioladen schliesst bevor er Konkurs geht» schlechter als die Alternative: «Bioladen hält durch, auch auf die Gefahr hin, Konkurs zu gehen». Geschäftsaufgabe und Konkurs sind zwar oft, aber lange nicht immer identisch. Man kann ein Geschäft auch aufgeben, lange bevor man Insolvenz anmelden muss. Es gibt also eine zeitliche Differenz. Und man kann auch Insolvenz anmelden ohne, dass man das Geschäft aufgeben muss. In der Corona-Zeit ist das in der Schweiz (und wohl auch in Deutschland) oft passiert: Der Gastwirt meldet Konkurs an, mit der Folge, dass der Vermieter auf einen Teil der eh überrissene  Miete verzichten muss. Dann führt die Frau oder der Sohn des Gastwirts den Betrieb mit tieferen Mietkosten weiter. Der volkswirtschaftliche Schaden hält sich in engen Grenzen.
 
Habeck und Maischberger hätten diesen interessanten und volkswirtschaftlich relevanten Gedanken noch weiterspinnen können. Doch für die Moderatorin ist das offenbar zu subtil. Für sie bleiben Insolvenz und Geschäftsaufgabe identisch. Punkt. «Wenn ich aufhöre zu verkaufen, dann kassier ich kein Geld mehr, dann muss ich die Insolvenz anmelden, nach zwei Monaten, wenn ich’s nicht getan habe, dann bin ich insolvent.» Die Aussage ist unklar: In der ersten Satzhälfte hört sie auf, zu verkaufen und ist insolvent. Im zweiten Teil macht sie noch zwei Monate weiter und ist offenbar erst dann insolvent.  Was nun, Frau Maischberger?
 
Habeck versucht, Ordnung ins Durcheinander zu bringen: «Man würde dann insolvent werden, wenn man mit der Arbeit immer grösseres Minus macht.» Stimmt, wenn die Schieflage lange genug anhält, und das Geld verrinnt, droht am Ende die Insolvenz. Das ist alles eine Frage des Timing. Sofort den Laden schliessen, oder durchhalten, auf die Gefahr hin, Pleite zu gehen. Doch Maischberger geht nicht darauf ein, sondern bleibt bei ihrer Version: «Wie wollen sie denn kein grosses Minus machen, wenn sie die Leute bezahlen müssen und nichts mehr verkaufen? Also ich versteh das nicht mehr.»
 
Was wie ein Geständnis klingt: «Ich versteh das nicht», ist in Wirklichkeit versteckter Vorwurd: «Soll da einer noch draus kommen, bei dem, was da unsere Minister schwafelt.» Und das ist genau das, was hängen geblieben ist: «Unser Wirtschafsminister weiss nicht, was eine Insolvenz ist.» Dabei hat Habeck nichts Falsches gesagt, Maischberger hat bloss nicht richtig zugehört. Der wichtige und nicht allzu subtile Unterschied zwischen «Geschäft einstellen» und «zahlungsunfähig werden» will ihr nicht den Kopf.
 
Kann passieren in einem Gespräch vor laufender Kamera, wo zum Nachdenken nicht sehr viel Zeit bleibt. Auch erfahrene Moderatorinnen sind davor nicht gefeit.
Doch die Medien und die politischen Kommentatoren hätten die nötige Zeit gehabt. Es braucht ja auch kein Hochschulstudium, um zu begreifen, dass eine Insolvenz erst dann eintritt, wenn das Geld und die geldwerten Assets nicht mehr reichen, um alle Gläubiger zu befriedigen. Und dass man selbige auch dadurch vermeiden kann, dass man die Geschäftstätigkeit rechtzeitig einstellt – und das Personal entlässt. Habeck weiss es offensichtlich und als verantwortlicher Wirtschaftsminister macht ihm Lezteres – die sofortige Geschäftseinstellung - zurecht mehr Sorgen als Ersteres - die hoffentlich  doch noch vermeidbare Pleite.
 
Doch ums Begreifen und Darstellen von wirtschaftlichen Zusammenhängen geht es offenbar schon lange nicht mehr. Wichtig ist bloss noch die gnadenlose Bewirtschaftung der gerechten Empörung. Und da lief – stellvertretend für alle anderen -  Bild-TV zu grosser Form auf: Vorspann: «Hat es das schon einmal gegeben? Der deutsche Wirtschaftsminister weiß nicht, was Insolvenz bedeutet. Das hat Robert Habeck (53, Grüne) bei Sandra Maischberger im TV unter Beweis gestellt. Ganz Deutschland schüttelt seitdem den Kopf.» In der acht Minuten langen Diskussion herrscht einhellige Empörung. Die zuweilen auch sehr besonnene Sarah Wagenknecht legt wie folgt vom Leder: «Ich meine, dem kann man ja nicht vertrauen. Ich muss sagen, als ich das gesehen habe, ich war einfach fassungslos. Wir befinden uns in einer dramatischen Situation und wir haben im Wirtschaftsministerium jemanden sitzen, der offenbar elementare wirtschaftliche Zusammenhänge nicht versteht.»
 
Ganz Deutschland schüttelt pausenlos den Kopf – so sehr, dass niemand mehr einen klaren Gedanken fassen kann. Oder nicht mehr hinhört, wenn es jemand dennoch versucht.
 
 
 
PS
 
Geständnis des Autors: Ich habe mir das Video im Abstand von etwa zwei Wochen zweimal angeschaut. In der ersten Rund habe ich noch genauso reagiert, wie es mir der Vorspann der TV-Macher suggeriert hat.
 
 
 
 
 
 


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