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31.12.2018 – Negativzinsen - Bankökonomen jagen den falschen Hasen


 
Nein, liebe Bankökonomen, die Nationalbank hat die Zinsen nicht gesenkt, die Sparer nicht enteignet und auch die steigenden Immobilienpreise können ihr nicht angelastet werden. Das wqr die Realwirtschaft.
 
Die Chefökonomen der Banken leben finanziell auf solidem Fuss, aber intellektuell haben sie einen schweren Stand: Sie stecken bis über den Kopf in ihrer Finanzwelt und sehen die Realwirtschaft dahinter nicht mehr. Deshalb vertreten sie etwa die Meinung, die Nationalbank sei schuld am tiefen Zinsniveau. Daniel Kalt, Chefökonom bei UBS z.B. meint: «Exzessive Immobilienpreise sind die direkte Folge der Negativzinspolitik der Nationalbank und der Anleihenkaufprogramme anderer Zentralbanken.» Und weiter: „Mangels attraktiver Anlagemöglichkeiten“ fliesse das Geld in Immobilien. Kalts Kollege Martin Neff von der Raiffeisenbank  behauptet, Negativzinsen führten unter anderem dazu, dass die Pensionskassen Probleme bekämen, die nötigen Renditen zu erwirtschaften, um die Renten zu finanzieren.
 
Die beiden Bankökonomen gehen offenbar davon aus, dass es die Zentralbanken in der Hand haben, das Zinsniveau beliebig sinken und steigen zu lassen und dass sie mit ihren Negativzinsen die Sparer daran hindern, „attraktive Anlagenmöglichkeiten“  zu finden.  Doch wie auch? Der Negativzins der SNB ist doch kein Zwang, sondern ein Angebot. Die SNB erklärt sich bereit, relativ gute (zentralbankfähige) Forderungen in Fremdwährungen (in der Regel Staatsobligationen) gegen kurzfristige Forderungen in Franken gegenüber der  Nationalbank einzutauschen. 
 
Die Tatsache, dass die Anleger – via Geschäftsbanken – 778 Milliarden Franken zu einem Negativzins von 0,75% bei der Nationalbank hinterlegt haben, ist doch der beste Beweis dafür, dass sie eben keine bessere Anlage gefunden haben und froh sind, wenn ihnen ein wirklich erstklassiger Schuldner wenigstens eine Rendite von immerhin minus 0,75% bietet. Das ist natürlich aus der historischen Perspektive schrecklich wenig, aber warum das so ist, erkennt man nicht, in dem man sich – wie die Bankökonomen - den Kopf der Zentralbänker zerbricht, sondern indem man die Geldflüsse der Realwirtschaft studiert.
 
Da zeigt sich am Beispiel der Schweiz folgendes Bild: In den letzten fünf Jahren haben die Privathaushalte im Jahresmittel 73 und der und 2 Milliarden netto gespart, zusammen also 75 Milliarden. Davon haben die Unternehmen jeweils etwa 15 Milliarden für die Finanzierung ihrer (rund 110 Milliarden) Investitionen beansprucht. Den grossen Rest haben sie dank üppigen Margen und Gewinnen und trotz hohen Dividenden und Kaderlöhnen aus den laufenden Einnahmen selbst finanziert. Unter dem Strich heisst das, dass die Schweiz jährlich rund 60 Milliarden Franken zu viel spart und diese Überschüsse im Ausland, also in Fremdwährung, investieren muss.
 
Um zu verstehen, wohin diese Gelder geflossen sind, muss man sich die realen Finanzströme im Ausland ansehen. Auch dort erzielen die Privathaushalte und die Unternehmen typischerweise hohe Nettoersparnisse. Wenn dann das betreffende  Land keine hohen Epxortüberschüsse erzielt, heisst dass, dass die Staatsaushalte zu Schulden machen müssen. Für die Schweiz läuft das darauf hinaus, dass wir unsere Ersparnisse per Saldo in Staatsobligationen von chronischen Schuldnerländern anlegen müssen. Dies gilt nicht für jeden einzelnen Schuldner, aber gesamtschweizerisch ist es so.
 
Doch würde dies nicht bedeuten, dass unsere Auslandguthaben schlecht rentieren und sich immer wieder mal entwerten? Genau so ist es. Das zeigt ein Blick auf die von der SNB publizierte Zeitreihe der der Auslandsvermögen und der Zahlungsbilanz. Danach lag unser  Nettoauslandsvermögen Anfang 2000 bei 576 Milliarden Franken.  Seit damals hat die Schweiz einen Leistungsbilanzüberschuss ohne Kapitalerträge von 473 Milliarden erzielt. Ohne Kapitalerträge hätte das Nettovermögen somit auf 1049 Milliarden Franken ansteigen müssen. In Wirklichkeit lag es aber bloss bei 798 Milliarden. Unsere unsere Anlagen haben zwar regelmässig Erträge abgeworfen, haben sich aber auch immer wieder mal entwertet. Der Euro etwa ist heute fast 30%, der Dollar 40% entwertet weniger Wert als damals.  Unter dem Strich haben sich unsere Auslandguten in diesen fast 19 Jahren um 251 Milliarden entwertet. Bezogen auf die Bruttovermögen (ink. Schulden in Franken) enspricht dies einer Negativverzinsung von rund 0,8% bei einem erheblichen Kursrisiko.
 
Aus dieser Perspektive  betrachtet, ist es nicht verwunderlich, wenn Investoren, die in Franken rechnen und die rechnen können, durchaus bereit sind, der SNB ihre Fremdwährungsguthaben gegen einen mässigen Negativzins von 0,75% zu überlassen. Es ist in der Vergangenheit schon schlimmer gekommen. Die SNB hat denn auch wiederholt darauf hingewiesen, dass ihre hohe Bilanzsumme weitestgehend mit der Rückführung von privaten Auslandguthaben von Schweizer Investoren zu erklären sind.
 
Dann ist da noch ein semantisches Problem: Wenn ich ein Guthaben von 100 Franken gegenüber einem Staatshaushalt gegen ein Guthaben von 100 Franken bei einer Zentralbank eintausche, dann bleibt mein Guthaben unverändert.  Doch es erfüllt jetzt die Definition von Geld. Das erlaubt es den Kritikern der Zentralbanken, diesen vorzuwerfen, sie hätten eine „Geldschwemme“ verursacht, oder „Geld aus dem Nichts“ geschöpft. Da ist es dann nicht mehr weit bis zum „logischen“ Schluss, diese Geldschwemme, und damit die SNB, sei auch an der Explosion der Immobilienpreise schuld.  Oder wie es Kalt formuliert: „Mangels attraktiver Anlagemöglichkeiten, fliesst das Geld in die Immobilien.“
 
Nun, der Mangel an attraktiven Anlagemöglichkeiten (für die Ersparnisse der Pensionskassen und Privathaushalte) liegt daran, dass die Untenehmen alle produktiven Investitionen schon selbst finanziert haben. Dennoch hat Kalt nicht ganz unrecht. In der Tat bietet der den Anlegern die Chance, das Maximum aus ihren überschüssigen Ersparnissen herauszuholen. Indem sie sich gegenseitig die Immobilien abkaufen, treiben sie die Preise hoch und bitten die Mieter zur Kasse. Und zwar nicht zu knapp. Laut dem Immobilienberater Wüestpartner betrug 2017 der Marktwert allein der Mietwohnungen 1126 Milliarden Franken und warf eine Gesamtrendite von 6,8% ab. Das sind jährlich rund 70 Milliarden wovon schwach die Hälfte auf Wertsteigerungen beruht. Das ist in der Tat ein gröberes Problem.
 
Au ähnliche Weise bietet die Kombination von hoch mobilem Geldströmen und und Standortwettbewerb dem Finanzkapital die Möglichkeit, die Steuern zu optimieren und die Arbeitseinkommen unter Druck zu setzen. In Deutschland etwa die Löhne teilweise unter 6 Euro pro Stunde gedrückt worden. Als Folge davon wurde ab 2015 ein bescheidener Mindestlohn von 8.50 Euro eingeführt. Das hat immerhin dazu geführt, dass die  Nettoüberschüsse des Unternehmenssektor von zeitweise 7 auf etwa 2% der Wertschöpfung gesunken sind. Noch bis in die 1990er Jahren war es hingegen normal, dass die Unternehmen etwa einen Drittel ihrer Investitionen mit Kredit finanzieren  mussten, was in etwa einem Finanzierungsdefizit von 5 bis 6% der Wertschöpfung entsprach.
 
Das, was wir „Geldschwemme“ nennen, ist also durchaus ein  gröberes volkswirtschaftliches Problem. Aber seine Ursache liegt nicht in den Kapitalmärkten selbst, sondern in der Realwirtschaft. In globalisierten Wirtschaft kann das Kapital den Produktionsfaktor Arbeit fast nach Belieben unter Druck setzen, mit der Folge, dass die Unternehmen die Ersparnisse der Haushalte nicht mehr brauchen, sondern selber welche bilden. Die Zentralbanken können diesen Mißstand nur noch verwalten.
 
Wenn man nun aber – wie die Bankökonomen – darauf trainiert ist, jede Bewegung auf den Kapitalmarkt zu beobachten, jeden Zinsentscheid der Zentralbanken zu kommentieren und sich dabei von der Realwirtschaft nicht ablenken zu lassen,  dann sieht es so aus, dass alle Fäden bei den Zentralbanken zusammenlaufen. Wenn dann dieselben Bankökonomen mit ihren schnell abrufbare Kommentaren zu wichtigen Partnern der Medien werden, dann überträgt sich der Tunnelblick der Bankökonomen auf die öffentliche Meinung. Dann führen wir die falsche Debatte während uns die Realwirtschaft um die Ohren fliegt.
 
PS. Auch der Vorwurf der Bankökonomen, dass die SNB mit ihrem Negativzins die Sparer „enteigne“ geht an den Fakten vorbei: Laut SNB hat die Schweiz ein Nettoguthaben in Fremdwährungen von gut 2900 Milliarden. (abzüglich 2100 Schulden in Franken ergibt das Nettoguthaben von rund 800 Mrd.) Mit jedem Prozent Aufwertung, die der Aufgabe des Negativzinses zwingend folgen würde, verlören die Sparer somit fast 30 Milliarden Franken.
 
 
 
 
 
 
 
 
 


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