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25.01.2023 – Lacenemab gegen Alzheimer– so geht Kostenexplosion
Lacenemab wirkt kaum, hat viele Nebenwirkungen, ist ersetzbar, wird aber wohl dennoch zugelassen. Auch mit Hilfe der Medien.
VON WERNER VONTOBEL
Lacenemab verlangsamt den geistigen Abbau bei alten Menschen um 27 Prozent, führt aber auch zu schweren Nebenwirkungen die Gehirnschwellungen und – Blutungen. Der Pflanzenstoff Kaempferol verlangsamt den Abbau um 33 Prozent und hat darüber hinaus noch eine starke antientzündliche Wirkung. Das sind die Ergebnisse von zwei Studien, die praktisch gleichzeitig veröffentlicht worden sind. Interessant ist die unterschiedliche Reaktion der Medien: Weltweite, meist überschwängliche Schlagzeilen und Berichte über Lacenemab. Absolutes Stillschweigen über Kaempferol.
Ob Tages-Anzeiger, NZZ, Welt am Sonntag, Spiegel, Süddeutsche, 20-Minuten, Langenthaler Tagblatt oder der britische Guardian, die Berichte über die neue Studiezum Alzheimer-Mittel Lancenemab von Biogen gleichen sich wie ein Ei dem andern: Für alle hat die Nachricht Priorität und ist eine Schlagzeile wert, in der fast immer das Wort Hoffnung dominiert. Und manchmal auch mal von «Durchbruch» die Rede oder auf französisch von einer «avancée fondamentale» - einen fundamentalen Fortschritt».
Auch im Textaufbau ist nur wenig Variation erkennbar. Niemand verschweigt die Nebenwirkungen. Je nach Textumfang werden diese sogar ausführlich beschrieben. Viele erwähnen auch die zwei Todesfälle die im Verlauf der anderthalb Jahre dauernden Studiemit 898 Lacenemab-Patienten aufgetreten sind. Ebenso wenig wird unterschlagen, dass die in der Studie dokumentierte Verlangsamung des Abbaus der Gehirnleistung um 27 Prozent dem Patienten eigentlich gar nichts nützt. Die NZZ am Sonntag zitiert dazu den amerikanischen Neurologe Madhav Thambisetty wie folgt: «Aus der Sicht eines Arztes, der Alzheimerpatienten betreut, liegt der Unterschied zwischen Lecanemab und Placebo weit unter dem, was als klinisch bedeutsam angesehen wird.»
Nach dieser ernüchternden Einleitung kommt bei allen die überraschende Wende. Das Schlüsselwort heisst «erstmals». Mit Lacenamab, so der TA, «kann erstmals ein Präparat das Fortschreiten der Gehirnkrankheit bremsen.» Erstmals könne man jetzt die Ursache bekämpfen. Auch für den Spiegel ist klar:«Gegenwärtig ist das die beste Option, die die Medizin Erkrankten bieten könnte.» Mit Lacenemab, so die Botschaft, habe man einen ersten Schritt getan. Nun müsse man diesen Weg weiterverfolgen.
Der TA zitiert Lutz Frölich vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim: «Wenn die neuen Substanzen tatsächlich den Verlauf verlangsamten, so müsste sich über einen längeren Behandlungszeitraum der Unterschied zwischen Behandelten und Kontrollgruppe ständig vergrössern. Das, so Fröhlich weiter, könne man aber erst sehen, wenn das Medikament zugelassen sei und die Forschenden über Monate und Jahre beobachteten, wie sich bei den Behandelten die Alzheimerkrankheit entwickle. Auch die die Welt am Sonntag geht davon aus, dass Lacenemab schon bald zugelassen wird, und zwar: «Schon allein, weil es bisher kein anderes Mittel gibt, das Alzheimer aufhalten kann.»
Damit senden die Medien genau die Botschaft, die der Hersteller verbreiten muss, wenn er die Zulassung für sein mit schweren Nebenwirkungen behaftetes, teures und dennoch weitgehend nutzloses Molekül erhalten will: Liebe Zulassungsbehörde, Ihr habt gar keine andere Wahl! Doch gibt es wirklich keine Alternative?
An diesem Punkt müssen wir – bevor wir zu Kaempferol kommen – ein wenig ausholen: In der Medizin gibt es zwei Denkschulen – Pharma-Medizin und Lebensstil-Medizin. Pharma-Medizin geht so: Krankheitsgeschehen genau analysieren und mit einem patentierbaren Molekül unterbinden. Beispiel: Statine gegen Cholesterin, Lacenemab gegen die Amyloid-Ablagerungen in Gehirn, Insulin gegen hohen Blutzucker. Die Lebensstil-Medizin geht anders vor. Sie versucht, die Defizite abzubauen, die durch chronische falsche Ernährung, zu wenig Bewegung und zu viel Stress entstanden sind.
Inzwischen gibt es zahllose Studien, die zeigen, dass Lebensstil-Medizin auch gegen Alzheimer wirkt. Etwa die von Dr. Dale Bredesen. Der Chef des Instituts zur Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen an der University of California in Los Angeles, hat inzwischen wohl über 1000 Patienten mit seinem «Bredesen-Protokoll» behandelt - intermittierendes Fasten, Verzicht auf Zucker, viel (favonolhaltige) Gemüse und Früchte, Bewegung, Entspannung etc. Studien (hierund hier) zeigen, dass man damit den geistigen Zerfall nicht nur bremsen, sondern – falls man nicht zu spät damit beginnt - auch rückgängig machen kann.
Das gleiche gilt auch für die finnische Finger-Studiemit 1260 Patienten. Die Studienautorin Miia Kivipelto, Professorin für Klinische Geriatrie am Karolinska-Institut in Stockholm sagt dazu: «Unsere Ergebnisse belegen somit, dass eine Kombination aus gesünderer Ernährung, Sport, geistiger und sozialer Förderung sowie der Kontrolle möglicher Herz-Kreislauf-Probleme die kognitive Leistungsfähigkeit von über 60-Jährigen deutlich verbessern kann.» (hier)
Studien mit Laborratten zeigen, dass schon kleinste Veränderungen des Lebensstils (mit oder ohne Artgenossen, mit oder ohne Tretmühle) Alzheimer «wegzaubern» können. (hier) Und diese Studievon 2015 hat gezeigt, dass schon geringe Mengen Quercitin genügen, um Mäuse geistig fitter zu machen. Das war auch der Ansatz von Thomas Holland vom Rush Institute for Aging at Rush University Medical Center, Chicago. Er und sein Team wollten wissen, wie sich antientzündliche Flavonoide (wie Quercitin und Kaempferol) auf unsere geistige Fitness auswirken. Zu diesem Zweck haben sie sieben Jahre lang die Ernährungsgewohnheiten von 961 im Schnitt 81 Jahre alten Senioren in Chicago beobachtet, und festgestellt, dass erstens die Senioren mit ihrer Nahrung viel weniger Flavonoide zu sich nehmen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Und dass zweitens selbst auf diesem tiefen Niveau die Unterschiede ins Gewicht fallen. (Siehe hier) Bei dem Viertel der Senioren mit dem höchsten Verzehr an Kaempferol verschlechterte sich die Gehirnleistung um 32 Prozent langsamer als beim Viertel mit dem geringsten Verzehr.
Doch das wohl beste Pferd im Stall der Lebensstil-Medizin ist Vitamin D 3. Erstens weil es fast an allen Reaktionen der menschlichen, tierischen und pflanzlichen Biochemie beteiligt ist, zweitens, weil grosse Teile der Bevölkerung mit Vitamin D extrem unterversorgt sind. Wie eine neue (April 2022) Analyse von 430'000 Blutproben aus der britischen Biobank zeigt, ist das allgemeine Sterberisiko bei einem Vitamin-D-Spiegel von 10 mg/dl um 25 Prozent höher als bei einem immer noch zu tiefen Spiegel von 20 ng/ml. Besonders stark wirkt sich Vitamin D auf das Todesfallrisiko bei Atemwegserkrankungen aus. Es verdoppelt sich bei einem Spiegel von 10 (statt 20) Ein Spiegel unter 10 mg/dl ist das Gesamtsterberisiko sogar um den Faktor 6 erhöht. (hier)
Auch das Risiko, mangels Vitamin D an Demenz und an einem schrumpfenden Hirn zu erkranken, wurde anhand der Blutproben und von 30'000 Hirnscans untersucht. Bei Werten unter 10 mg/nl – die gerade bei Senioren, Übergewichtigen oder Rauchern oft vorkommen, ist das Risiko gegenüber einem Spiegel von 20 bis 30 ng/ml um 80 Prozent erhöht. (Studie hier)
Einverstanden. Man muss die Kaempferol-Studie nicht kennen, aber wer über Alzheimer schreibt, sollte wissen, dass es neben der einen Studie, die zeigt, dass man Alzheimer mit Lacenemab verlangsamen kann, auch noch hunderte von anderen Studien mit alternativen Heilmethoden gibt. Doch eine Recherche auf der Schweizer Mediendatenbank SMD ergibt, dass Bredesen für die deutschsprachige Presse bloss ein norwegischer Skispringer ist. Auch die Finger-Studie und die die neuen Erkenntnisse aus der britischen Biobank werden nirgendwo erwähnt.
Stattdessen übernehmen unsere Medien kritiklos die Behauptung der Lacenemab-Herstellers Biogen, wonach es «bisher kein anderes Mittel gibt, das Alzheimer aufhalten kann.» Diese Naivität wird uns noch teuer zu stehen kommen, dennso wie es aussieht, haben wir gar nicht die Mittel, um Alzheimer mit Lacenemab zu bekämpfen. Die Welt am Sonntag schreibt dazu: «Die Kosten des Medikaments schätzen Experten auf einen fünfstelligen Betrag pro Jahr und Patient. Wesentlich aufwendiger und teurer würden Begleituntersuchungen werden, etwa die regelmäßigen Aufnahmen vom Gehirn. Frank Jessen (der Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Alzheimerforschung am Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen) sagte: "Ich glaube nicht, dass eines der europäischen Gesundheitssysteme derzeit diese Last tragen kann."
Angesichts solcher Perspektiven stellt sich umso mehr die Frage, warum die Lebensstil-Medizin nicht nur von den Medien sondern auch von den zuständigen Behörden weitgehend ignoriert wird. Der Hautgrund dafür ist wohl der, dass sich die Pharma-Industrie zu wehren weiss, denn die Lebensstil-Medizin gefährdet ihre Geschäftsgrundlage. Man stelle sich bloss mal vor, wir hätten damals Corona mit den Vitaminen C und D, mit Magnesium, Zink und Mundspülungen mit Salzwasser bekämpft, statt die der mRNA-Impfung. Ziemlich genau diesen Vorschlag hatte im September 2020 eine Expertenkommission der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE gemacht, untermauert von 70 einschlägigen Studien. Das Imperium schlug sofort zurück. Wenige Tage danach entfernte die SGE ihre Studie aus dem Internet und entschuldigte sich für das «Missverständnis».
Jetzt droht sich die teure Geschichte zu wiederholen. Mit dem kleinen Unterschied, dass uns die Pharma-Industrie im Falle von Lacenemab schon zum vornherein warnt, dass wir mit wenig Wirkung und viel Nebenwirkung rechnen müssen.
Es sei denn, wir haben ein Alternative.
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